Eiskalte Rache

  • Das Verschwinden


    Agga schreckte aus seinem leichten Schlaf empor und griff nach seiner immer neben seiner Lagerstätte bereitliegenden Keule. Seine Augen leuchteten glühend rot in der Dunkelheit, als er sich hektisch in seiner Höhle nach dem Angreifer umsah. Doch sie war leer. Gerade entspannte er sich ein wenig, als es ihm klar wurde. Er war nicht angegriffen worden, es fehlte auch nichts aus seiner Höhle. Aber er spürte ganz deutlich einen Verlust. Ein Ungleichgewicht war entstanden. Ein Ungleichgewicht der Mächte, zwischen Gut und Böse.


    UGA! WO BIST DU!
    DU KANNST NICHT EINFACH VERSCHWINDEN! WIR SIND ZWAR BEFEINDETE BRÜDER, ABER DU WEISST DOCH, DASS WIR EINANDER DENOCH BRAUCHEN!


    Agga schlug mit seiner Keule die Einrichtung seiner Höhle kurz und klein, bevor er sich zu dem Unterschlupf Ugas begab, um dort die selbe Prozedur durchzuführen. Denn sein Bruder war wirklich spurlos verschwunden, als hätte ihn der Erdboden - oder besser das ewige Eis des Tales - verschluckt.

  • Die Verbannung


    Agga betrachtete sein Werk in Ugas Höhle und seine Augen funkelten bedrohlich durch die Dunkelheit. Wie konnte es sein Bruder wagen zu verschwinden ohne ein Wort zu sagen? Dieser Feigling! Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, schien der Höhlenboden unter seinen Füssen zu schmelzen. Agga wurde tief in das Loch gesogen, welches sich im gleichen Moment wieder schloss.



    Zur gleichen Zeit stand die Eisgöttin triumphierend vor der Eiskugel, in der sie den Zeitstrudel in den die beiden Götter gesogen wurden, beobachten konnte. Ein dunkler Schleier zog sich durch das feine Geäst der Eiskristalle die fast wie Glas wirkten, nur ab und an konnte man das betrübte Gesicht Ugas oder das vor Zorn glühende Anlitz Aggas erkennen. Fast zärtlich fuhr sie mit Ihren Fingerspitzen über die Kugel.


    "Es ist vollbracht mein Freund! Die Götter der Menschen sind besiegt, schnell wird Ihre Macht in MEINEM Tal schwinden, bis sie nur noch eine Erinnerung sind. Ein verglühender Funke in der Nacht. Sieh nur, bereits jetzt sind die ersten Anzeichen zu sehen!" Die Eisgöttin lachte ihr klirrend frostiges Lachen und sah hinüber zu ihrem Gefährten, der erschöpft ein Stück entfernt auf dem Höhlenboden sass und augenscheinlich versuchte wieder zu Kräften zu kommen.


    Sicher, es war für Ihn früher ein leichtes gewesen treue Kämpfer für eine gewisse Zeit aus Höhlen verschwinden zu lassen, aber zwei Götter vorübergehend in einen Zeitstrudel zu verbannen raubte ihm einiges an Kraft, trotz der magischen Hilfe der Eisgöttin.


    "Warte noch kurze Zeit, bis die letzten irdischen Beweise ebenso vom Erdboden verschluckt sind. Die Menschen sind dumm und auf ihren Vorteil bedacht! Schnell werden sie begreifen wem sie von nun an zu dienen haben, dies wird die Stunde meiner eisigen Rache. Niemand stellt sich mir ungestraft in den Weg."

  • Das Ritual: Die Vorbereitung


    Die Eisgöttin blickte sorgenvoll auf den Schein der trüben Eiskugel.
    In Schemen waren zwei Gestalten zu erkennen, die versuchten ihrem eisigen Gefängnis zu entkommen.


    "Mein treuer Gefährte, mit Deinem gewaltigen Zauber haben wir die falschen Götter in meine Eiskugel verbannt, doch wir beide wissen, dass diese Verbannung nur vorübergehend ist." Kyrah blickte zu ihrem in sich zusammen gesunkenen Freund herüber.
    "Ich weiß, dass unser Plan für Dich eine große Kraftanstrengung sein wird. Aber mein Lieber, bedenke, was wir gewinnen können! Wenn ich meine gesamte Machtfülle wieder erlange, können wir den beiden selbst ernannten Göttern entgegentreten und sie endgültig besiegen!"


    Sie legte ihrem Gefährten die Hand auf die Schulter und sprach in ihrer süßesten Stimme:
    "Komm Enzio, lass uns zusammen die Zeit besiegen! Die Göttin des Eises liegt Dir zu Füßen und erbitte Deine Hilfe!“


    Enzios Blick glitt über die Eiskugel und das makellose Gesicht seiner eisigen Gefährtin.
    Sein Blick wurde klar und durchdringend.
    "Mein Vater hat mich verstoßen, Uga duldete mich nur als Halbgott, jetzt ist es Zeit, den beiden undankbaren sogenannten Göttern zu zeigen, zu welchen Taten der Herrscher der Zeit tatsächlich fähig ist!“ Enzio stand abrupt auf.
    "Ja, wir werden das Ritual einleiten und den Weg der Zeit beschreiten!“

  • Das Ritual: Jedes Ende hat einen Anfang

    Enzio stand vor einem riesigen Blendstein. Hinter ihm waren diverse Instrumente zur Zeitmessung aufgereiht.


    "Sieh Dich vor, die Zeit ist tückisch!“ sagte Enzio ohne sein monotones Gemurmel zu unterbrechen. "Glaube nicht was Du siehst, es sind die Schatten der vergangenen Äonen!“ rief Enzio grade noch als das Bild im Blendstein zu flackern begann.


    Ungläubig blickte Kyrah auf die wabernden Bilder. Sie sah blühende Felder, die zu Einöden wurden und wieder aufblühten, sie sah Armeen überragt von Metallenen Kolossen und längst vergessene Schlachten.


    Enzio jonglierte mit Sanduhren und murmelte weiter unverständliches als er rief "Zu Beginn werde ich die Zeit beschleunigen!“

  • Das Ritual: Schwingungen der Zeit


    "Achte auf den Zeitspiegel, jetzt siehst Du den Kampf gegen die Natur! Beeindruckende Schlachten wurden damals geschlagen!“ brüllte Enzio über den Lärm der Zeit.
    Die Eisgöttin hatte längst den Blick für den Blendstein verloren. Zu beschäftigt war sie auf Enzios Anweisungen hin das Feuer zu schüren, Flüssigkeiten zu vermengen oder einfach nur den riesigen Gong der Zeit zu bedienen.
    "Und jetzt den Schildkrötenpanzer!“ schrie Enzio während er auf einer Sonnenuhr tanzend die Schwingungen der Zeit wahrnahm.


    Aus seinem monotonen Gemurmel war ein "Mehr Schwefel!“ zu hören, als der Spiegel plötzlich schwarz wurde. Der Lärm der Zeit ließ nach und Enzio stieg ruhig von der Sonnenuhr und sagte zur sichtlich mitgenommenen Eisgöttin.
    "Es ist vollbracht, die zweite Phase ist vollendet. Wir haben die Voraussetzungen geschaffen den Zeitstrom zu verändern.“

  • Das Ritual: Überwindung von Grenzen


    "Wie lange muss ich noch diesen Schlitzfedrigen Aasgeier abwehren?“ schrie Kyrah sichtlich verzweilt.
    Enzio hieb mit einem riesigen Pendel einer Uhr auf einen Pestvogel ein und rief: "Ich hatte Dir gesagt, dass es nicht einfach wird die Organe der ausgestorbenen Spezies zu erhalten! Ich kann Dir nicht sagen wie lange das Zeitportal geöffnet bleibt, die Zeit ist trügerisch und unberech...“
    Das Portal schloss sich und der Blendstein sah wieder unberührt aus. Nur diverse Kadaver zeugten von dem bis grade tobenden Kampf gegen einige Urzeittiere.


    "Wir haben die Grenzen überwunden. Auch im Tale Thoka sind einige Grenzen gefallen, die Häuptlinge werden die Auswirkungen spüren! Jetzt müssen wir die Kadaver ausweiden und einige wichtige Organe zur Opferung vorbereiten.“


    Kyrah blickte voller Abscheu auf den toten Aasgeier.
    "War das die letzte Überraschung, oder hast Du noch mehr auf Lager?“

  • Das Ritual: Jeder Anfang hat ein Ende


    Wieder gingen Enzios Kommandos im Lärm der Zeit unter.
    Kyrah rührte in einem riesigen Bottich über dem flackernden Feuer und versuchte die auf der Flüssigkeit schwimmenden Augen des Pestvogels zu ignorieren.
    "Jetzt die Gallenblase des Aasgeiers!“


    Enzio fühlte den Zeitstrom und begann ihn nach seinen Wünschen zu formen. Unter seinen flinken Händen wandte sich die Zeit und versuchte seinem Druck zu entkommen.
    "Ich beschleunige die Zeit noch einmal, dann sind wir so gut wie durch.“ rief Enzio der völlig erschöpften Kyrah zu.

  • Das Ritual: Der Anfang vom Ende ist das Ende vom Anfang


    Wieder hatte sich das Zeitportal in dem Blendstein manifestiert.
    Enzio und Kyrah ließen sich von dem Lärm der Zeit nicht mehr aus der Ruhe bringen. Vor ihnen sahen sie eine weite schneebedeckte Landschaft.
    "Meine Heimat. Oh Enzio, Du bist wahrlich der Herr über die Zeit. Du hast ein echtes Wunder vollbracht! Lass uns den letzten Schritt gehen und in meiner alten Heimat das Tal nach unserem Gedünken formen.“


    Enzio blickte ihr erschöpft in die Augen.
    "Ich selber war mir nicht sicher, aber nun haben wir es tatsächlich vollbracht. Mit dem nächsten Schritt bewegen wir uns vorwärts in die Vergangenheit!“


    Alle Besitztümer hinter sich lassend durchschritten die beiden Hand in Hand das Zeitportal. Zurück blieb ein blinder Blendstein und eine kleine Höhle, die nur vom Schein einer einsamen Eiskugel erhellt wurde, in der zwei schemenhafte Gestalten ihren Weg nach draußen suchten.






    Unterdessen steigt im Tal das Wasser unaufhaltsam. Die Höhlenbewohner bringen ihre Habseeligkeiten in Sicherheit, aber die tief liegenden Höhlen drohen, bald in den Fluten zu versinken.


    Das heißt im Klartext: Ab morgen versinken am Wasser gelegene Höhlen und werden unbewohnbar.