Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als die alte Frau, die alle nur noch Schamanin nannten, wie jeden Tag
im Schatten des Höhleneingangs saß und das Treiben der Karawanen beobachtete. Der Strom der ankommenden Siedler
schien nicht enden zu wollen. Doch sie genoss den Anblick der sich ihr bot, denn sie liebte es die Neuankömmlinge
zu beobachten und zuzusehen wie diese sich mühsam durch die Mittagshitze schleppten auf der Suche nach einem schattigen
Plätzchen, wo man ein Lager aufschlagen könnte. Sonst war der Alten auch nichts geblieben. Die eingebildeten
Eitel-Götter (wie sie Uga und Agga zu nennen pflegte) hatten sich vor vielen Monden im Tal niedergelassen
und nun zog es schon seit Jahren immer mehr ihrer Anhänger in die unbarmherzige Wüste.
Was war denn besonderes an den beiden Eitlen, dass so viele dumm genug waren, freiwillig in diese unbarmherzige
Gegend zu wandern? Die Schamanin musste bei diesem Gedanken lachend den Kopf schütteln.
Sie war einst selbst so dumm gewesen der Stimme aus dem Nebel zu folgen und in dieses Land zu reisen.
Seitdem hatte sie ausgeharrt und nun machten ein hohes Alter und Gebrechlichkeit es unmöglich dieses Land
zu verlassen.
Während sie das treiben im Sand weiter beobachtet schwelgte sie in Erinnerungen an ihre Jugend.
Damals waren sie und ihre Schwestern Seite an Seite in der anderen Welt, die sie Iskra genannt hatten, in den Krieg
gegen die Eitlen gezogen, die auch dort ihre verderbliche Saat verbreitet hatten. Kurz nach Beginn der Gefechte
am Massiv vernahm sie die Stimme ihres Meisters im Nebel. Die Worte hafteten der Alten immer noch im Gedächtnis:
"Folge dem Pfad im Nebel in die Wüste. Warte dort auf die Ankunft der zwei. Wir können diese Schlacht nicht gewinnen,
es ist zu spät, das Blatt zu wenden. Beobachte die zukünftigen Ereignisse und gebe den beiden dein Wissen weiter."
Damals hatte die Schamanin die Bedeutung dieser Worte nicht verstanden und nun erschienen sie ihr gradezu
verwerflich. Sie hatte ein ganzes Leben umsonst in dieser Todesfalle ausgeharrt. Der Alte hatte sie getäuscht,
wie er es auch mit den Eitlen versucht hatte...
Plötzlich schreckte sie aus ihren Gedanken hoch. Am Horizont waren zwei Gestalten aufgetaucht, die zielstrebig auf
ihre Höhle zuhielten. Sie konnte deutlich erkennen, dass die zwei Wanderer die Zeichen des Alten trugen: Beide
waren in graue Kutten gehüllt, sodass nur noch die Hände zu erkennen waren und jeder führte in der Rechten
einen alten knorrigen Wanderstab.
Welche Ironie des Schicksals dachte sie bei sich, als die zwei Gestalten in den Schatten traten.
"Seid gegrüßt, Itu, Schamanin der Nebelamazonen. Euer warten hat ein Ende", sprach einer der Wanderer.
"Dieser Name gehört zu einem vergangen Leben. Die Wüste kennt keine Namen, sie kennt nur Opfer", entegegnete die Alte.
"Wir sind nicht gekommen, um über Namen zu sprechen, wohl aber wegen der Wüste und ihrer Geheimnisse.
Erfüllet nun Euren Auftrag und berichtet uns, was ihr wisst. Sodass der Mund und die Ohren des Nebels ihren
Auftrag erledigen können."
Mit diesen Worten setzen die beiden Wanderer sich zu ihr und die Alte begann zu berichten ...